Besuch auf dem Hohenasperg

Veröffentlicht am 20.09.2015 in AG 60plus

Die SPD-Senioren auf dem Hohenasperg

Ein deutsches Gefängnis.
Die  Kehrseite der Macht.

Weithin sichtbar erhebt sich der Hohenasperg bei Ludwigsburg über seine vom Weinbau geprägte Umgebung. Dieser Tage stiegen zwei Dutzend SPD-Seniorinnen und Senioren von Asperg empor zur Festung, um sich über deren geschichtsträchtige Vergangenheit zu informieren. Gertraut Haug hatte den Besuch bestens vorbereitet.

Die Bahnfahrt hatte sich etwas verzögert, denn der Zugverkehr war wegen einer Explosionswarnung in Lorch zeitweilig unterbrochen. Umso eindrucksvoller war der Rundgang im übersichtlichen Dokumentationszentrum der Festung. Dabei schilderte eine junge Historikerin die bedrückenden Ereignisse, wegen denen der Berg seine Beinamen „Höchster Berg in Württemberg“, „Demokratenbuckel“, „Deutsche Bastille“ erhalten hat:

 

Im 16. und 17. Jahrhundert waren die ausgedehnten Anlagen und Gebäude ausschließlich als Festung genutzt worden. Danach (bis 1945) wurde die Festung zum Gefängnis für politische Gefangene. Die verschiedenen Epochen in der Geschichte des Landes spiegeln sich wider in den Begründungen für die Festungshaft.

Schon Jud Süß Oppenheimer war vor seiner Hinrichtung in der Festung inhaftiert. Später nutzte Herzog Carl Eugen seine absolutistische Macht, um privat Missliebige aus seiner Umgebung zu entfernen. So wurde die Opernsängerin Marianne Pirker ohne Begründung anonym 8 Jahre lang eingesperrt. Erst recht galt der Zorn des Herrschers kritischen Denkern und Publizisten. Beispielsweise wurde der Dichter Christian Friedrich Schubart mit einem Trick ins Württembergische gelockt und verhaftet. Erst nach mehr als einem Jahr Isolationshaft wurden die Haftbedingungen für ihn erträglicher, aber begleitet mit Pressionen, um eine Bewusstseinsänderung zu erzwingen („Gehirnwäsche“).

 

 

Insgesamt 400 Liberale und Demokraten, d.h. republikanisch Gesinnte bekamen dann nach der gescheiterten Revolution von 1848/1849 die Macht der Obrigkeit zu spüren. Im Gegensatz zu früher gab es nun allerdings eine Art Gerichtsverfahren. Der bekannteste Verurteilte war der Arzt Theobald Kerner, Sohn des berühmten Arztes und Dichters Justinus Kerner. Während seiner 6-monatigen Haft konnte er immerhin ein Kinderbuch für seine Kinder verfertigen.

Seit 1884 dient der Hohenasperg auch als Krankenhaus für Häftlinge mit körperlichen und psychischen Erkrankungen. Von den „Geisteskranken“ wurden nicht wenige nach Beginn der Nazi-Diktatur Opfer der sogenannten Euthanasie.
 

Nach 1940 war der Hohenasperg Sammellager für Sinti und Roma („Zigeuner“), bevor diese in die Vernichtungslager abtransportiert wurden. Einige wenige Überlebende geben davon Zeugnis.

Zahlreiche politisch Andersdenkende kamen in „Schutzhaft“ auf den Asperg, so auch der 1933 von den Nazis abgesetzte württembergische Staatspräsident Eugen Bolz (1945 in Plötzensee enthauptet).

Seit 1945 wird der Hohenasperg nicht mehr als Gefängnis, sondern ausschließlich als Krankenhaus für Strafgefangene genutzt. Insgesamt sind es etwa 130 Plätze. Als wohl bekanntester Patient befand sich der zu lebenslanger Haft verurteilte RAF-Terrorist Günter Sonnenberg in dieser Anstalt.

Bis heute werden in vielen Ländern der Welt Menschen aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen eingesperrt. Die Haftbedingungen sind oft noch schlimmer als in absolutistischer Zeit auf dem Hohenasperg. Mit diesem bedrückenden Gefühl verabschiedeten sich die SPD-Besucher vom württembergischen Schicksalsberg.

Text Dieter Schädel

Bild Gertraut Haug

 

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